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Respekt – Toleranz – Gendergerechtigkeit:
eine Sprache für ALLE

In vielen Gesprächen wird oft Unzufriedenheit bis Ärger im Umgang mit den sogenannten Genderregeln deutlich. In Vieraugengesprächen wird mir gesagt, dass Kolleginnen und Kollegen gegen ihre Ansicht „gezwungen“ werden, zu gendern, obwohl sie dagegen sind. Sie können sich aber nicht leisten, ehrlich zu sein, um ihre Anstellung nicht zu verlieren.


Das besorgt mich sehr! Darum versuche ich mit diesem Text meine Haltung zu formulieren. Ich will damit nicht dogmatisch sein, im Gegenteil, sondern vielmehr eine ehrliche und offene Diskussion dazu eröffnen. Viele Anliegen, die das Gendern transportieren soll, finde ich wertschätzend, sinnvoll und unterstützenswert. Mit dem Gendern wird eine Sprache des Sichtbar-machens gesucht! Das ist ein OFFENER Prozess und ich suche die offene Auseinandersetzung dazu im achtsamen Zuhören ALLER!

 

Ich sage JA zu Respekt und Toleranz! Meine Grundhaltung im Umgang mit Menschen gebietet es mir, achtsam und respektvoll zuzuhören und mich ihnen zuzuwenden. Ich bin seit über 50 Jahren sozialpädagogisch tätig und habe eine offene, stets zugewandte und respektvolle Haltung.

 

Ich werde seit geraumer Zeit zum Gendern – mit einer offensichtlich festgelegten Sprachregeln – aufgefordert. Diese Sprachregeln gilt es zu beachten und in Wort und Schrift zu gendern. Meine erlernte Sprache muss ich deutlich verändern, weil mir das nun so „vorgeschrieben“ wird. Von wem? Ich bin daran interessiert, dass Menschen geachtet und wertgeschätzt werden – das gebietet mir meine Grundhaltung. Ich achte alle Menschen!

 

Die kulturell verankerte deutsche Sprache nimmt alle Menschen gleich wahr und ernst. Dies ist durch unser Grundgesetz von 1949 verbrieftes GrundRECHT:

"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Daraus wurde 20Jahre später allgemein “Sehr geehrte Damen und Herren“. Damit begann das gendern. Aber schon am 04.04.1919 wurde von Hermann Rhein die Bremische Nationalversammlung mit der Anrede „sehr geehrte Damen und Herren“ eröffnet. Das generische Maskulinum hat sich ebenfalls kulturell entwickelt. Es unterliegt heute auch der grundgesetzlichen Gleichheitshaltung und wird immer öfter im Respekt ALLER ergänzt.

Die neue Ablehnung unserer bisherigen Sprache entspricht einer Form von Sprachpolarisierung.Menschen, die sich diskriminiert und als Opfer fühlen, konfrontieren die Gesellschaft mit der Forderung, sie durch gegenderte Sprache zu respektieren. Menschen, die sich als sensibel empfinden oder insze-nieren, nutzen ihre Opferrolle, um sich damit zu bemächtigen, anderen Menschen vorzugeben, wie sie zu sprechen haben. Sich zum Opfer zu machen ist sehr einfach. Das ist aber sicher auch eine Form der Selbstbemächtigung, der Selbstermächtigung. "Wenn du nicht genderst, muss ich davon ausgehen, dass du mir persönlich gegenüber respektlos bist". Diese Unterstellung ist meiner Ansicht nach selbst respektlos und führt auch dazu, dass das Gendern von einer Empfehlung zu einer moralischen Pflicht wird, wie Philipp Hübl es ausdrückt: Vorlesung "Bullshit-Resistenz: Einführung ins kritische Denken" (2023, UDK Berlin)

 

Mit der Regenbogenfahne wollen Menschen zeigen, dass ALLE Menschen ein Recht auf Leben und Entwicklung haben, und zwar gleichwertig und gleichberechtigt. Die Farben standen nie für einzelne Minderheiten oder Bevölkerungsgruppen, sondern für Konzepte wie Gesundheit, Natur, Harmonie etc.. Und dann kommen Gruppen, die sagen, dass die Regenbogenfahne nicht ALLE einbezieht und bauen in die Regenbogenfahne neue Farben. Für mich ist das arrogantes Verhalten: sich unter dem Begriff „ALLE“ nicht einzubeziehen. ("Ja, ALLE, aber ich bin ja etwas Besonderes und will zusätzlich benannt werden.") Darum muss es ein "ALLE plus" geben?

NEIN! Die Konsequenz ist, dass der Begriff „ALLE“ ad absurdum geführt wird.

Neben Geschlechtervielfalt, Identität etc. gibt es eine Reihe von Gruppen in dieser Gesellschaft, die ebenfalls wertgeschätzt und berücksichtigt werden müssen. Das ist aber mit dem Gendern nicht der Fall, im Gegenteil: Es ist für Menschen, die einfache Sprache brauchen, kaum möglich zu gendern, es ist für Menschen, die blind sind, nur schwer möglich, gegenderte Texte zu lesen, es ist für Gehörlose viel schwieriger, gegenderte Texte von den Lippen zu lesen, für Menschen, die Deutsch als Fremdsprache erlernen, ist das ebenfalls so nicht möglich. Zu viele Menschen werden von dieser Art Gendern überfordert und noch nicht einbezogen.

Ein Kollege berichtete mir vor kurzem, dass er durch ein flapsiges Wort von Jugendlichen so dermaßen verletzt sei, dass er nicht mehr weiterarbeiten könne. Auf meinen Hinweis, dass es eine Situation mit jungen pubertären Leuten war, die einfach flapsig sein wollten, reagierte er darauf mit den Worten „Ich will auf keinen Fall meine Resilienz verbessern, weil ich das nicht ertragen WILL!“ Dieses besondere Verhalten des Kollegen ist eine Art Empörung, die Spaltung verursacht, die blind verurteilt, die keinen Konsens sucht! Er will unantastbar sein, will andere kontrollieren, fordert von anderen Respekt, entwickelt aber selbst keinen Respekt, im Gegenteil: er verurteilt alle, die nicht 100% seiner Ansicht sind. Das löst bei MIR Empörung aus.


Das moralische Diktat dabei erinnert mich an moralische Diktate früherer Zeiten von Kirche und Staat. Fehlende Kompetenz aktiviert Macht!

Alle Anwendung des Genderns akzeptiere ich selbstverständlich. Auch in der Sprachanwendung gibt es Varianten. Ob jemand gendert, das generische Femininum oder Maskulinum anwendet: es sind Varianten. Die Bemerkung des Kollegen ist ein scharfer Sonderfall, hat mich allerdings veranlasst, mich intensiv mit dieser Art des Genderns zu beschäftigen, um dazu meine Haltung und mein VERhalten für mich zu entwickeln.

 

Ich werde auch zukünftig meine Haltung zu Respekt und Toleranz durch mein Verhalten, mein Zuhören und mein Verstehen beweisen. Ich werde aber nicht mehr in Erfüllung von sogenannten Regeln, „voll gendern“ und nutze gern auch das generische Femininum. Vor vielen Jahren hat die damalige Kölner Bürgermeisterin Frau Scho-Antwerpes eine Rede begonnen mit „Sehr geehrte Herren und Damen“ und damit das ANDERE Geschlecht als erstes genannt. Diese Form von Achtsamkeit hat Augenhöhe und ist zugewandt. Und heute würde ich die Anrede ergänzen mit „Diverse“.

Ich möchte zugewandt und angstfrei mit Menschen umgehen. Ich möchte experimentieren, Fehler machen dürfen, sie als solches erkennen und mich weiterentwickeln – dazu beitragen, dass sich Menschen entwickeln und inkludierter Teil unserer Gesellschaft werden. Demokratie lebt auch von Geduld und Toleranz.

Ich möchte kritisch bleiben und mit kritischen Menschen im gegenseitigen Respekt die Welt gestalten. Ich suche Offenheit, um Alternativen zu erkennen, die ALLEN gut tun. Ich möchte lachen, Freude spüren und teilen. Das Recht auf Glück für ALLE ist mir sehr wichtig. Sogenannte Gespräche, in denen nur blind Statements vorgehalten werden, lehne ich ab.

 

Ich suche das OFFENE und zugewandte Gespräch, das respektvolle Zuhören, Nachdenken, Verweilen und Lösungen finden mit Interesse und Neugier, auch mit Gelassenheit VERSTEHEN wollen. Zum Gespräch bin ich gern bereit und zitiere dazu Hans-Georg Gadamer: "Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte." Das schließt natürlich ALLE, also auch mich, ein. Das ermöglicht mir Augenhöhe, Transparenz und den Respekt vor unterschiedlichen Ansichten. Wer also in meiner Anwesenheit voll gendert, hat selbstverständlich auch meinen Respekt.


Köln, der 19.11.2023

Richard Spätling

Diesen Text gibt es auch als Download:

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